Ehe für alle: «Ändert der Beziehungsstatus, sollte man seine Vorsorgesituation prüfen»

Viele haben eine gefühlte Ewigkeit darauf gewartet, heute am 1. Juli 2022 ist es soweit: Die «Ehe für alle» tritt in Kraft. Welche Veränderungen das mit sich bringt und wie sich diese auf die Vorsorge auswirken, erklärt Pascal Jaeggi, Leiter Team Aussendienst bei GastroSocial, im Interview.

Herr Jaeggi, die Schweizer Stimmbevölkerung hat am 26. September 2021 mit einer klaren Mehrheit von rund 64% der Vorlage «Ehe für alle» zugestimmt. Welche Veränderungen bringt das mit sich?
Der Volksentscheid bewirkt eine Änderung im Schweizerischen Zivilgesetzbuch: Die zivile Ehe steht nun allen Personen in der Schweiz offen, egal in welcher Geschlechtsverbindung sie sind. Per 1. Juli 2022 können also auch gleichgeschlechtliche Paare heiraten oder ihre eingetragene Partnerschaft mit geringem Aufwand in eine Ehe umwandeln. Das Eingehen einer neuen eingetragenen Partnerschaft ist nicht mehr möglich, jedoch können bestehende eingetragene Partnerschaften ohne spezielle Erklärung weitergeführt werden. Weitere von der Gesetzesänderung betroffene Themenbereiche sind Adoption, Güterrecht sowie die Fortpflanzungsmedizin.


«Vor allem die Ehe verändert die Vorsorgesituation für beide Personen.»


Vorsorgethemen sind sozusagen Ihr «tägliches Brot». Inwiefern wirkt sich die «Ehe für alle» auf die Vorsorgesituation der gleichgeschlechtlichen Paare aus?
Vor allem die Ehe verändert die Vorsorgesituation für beide Personen. Sie stellt in der Schweiz die stärkste rechtliche Bindung zwischen einem Paar dar. Entsprechend hoch ist die finanzielle Absicherung für die hinterbliebene Partnerin oder den hinterbliebenen Partner im Todesfall. Zwar hat die eingetragene Partnerschaft den gleichgeschlechtlichen Paaren bereits viele Vorteile im Steuer,- Unterhalts-, Erb- und Sozialversicherungsrecht gebracht, jedoch gibt es gerade im Bereich der Vorsorge einige Unterschiede zur Ehe. Zum Beispiel wird in einer eingetragenen Partnerschaft zweier Frauen, anders als in der Ehe, die überlebende Partnerin einem Witwer gleichgestellt – unabhängig von ihrem Geschlecht. Das bedeutet, dass die überlebende Partnerin aus der AHV (1. Säule) nur dann Hinterlassenenleistungen erhält, wenn und solange rentenberechtigte Kinder unter 18 Jahren vorhanden sind. Entscheiden sich die beiden Partnerinnen, ihre eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umzuwandeln, steht die überlebende Partnerin im Todesfall finanziell womöglich besser da.

Können Sie das präzisieren?
Die AHV behandelt verheiratete Frauen anders als verheiratete Männer, oder anders ausgedrückt: Die Hinterlassenenleistungen aus der AHV unterscheiden sich bei Witwen und Witwern. Männer oder Witwer erhalten beim Tod des Ehepartners oder der Ehepartnerin wie vorhin beschrieben nur dann eine Hinterlassenenrente der AHV, wenn und solange Kinder unter 18 Jahren vorhanden sind. Kinderlose Witwen dagegen haben beim Tod der Ehepartnerin oder des Ehepartners ausserdem einen Anspruch, wenn die Ehe mindestens fünf Jahre gedauert hat und die Partnerin bei der Verwitwung mindestens 45 Jahre alt ist oder sie mindestens ein Kind hat. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wenn die im vorigen Beispiel genannten beiden Frauen nun heiraten, ist die hinterbliebene Partnerin im Todesfall nicht mehr – wie in der eingetragenen Partnerschaft – einem Witwer gleichgestellt, sondern einer Witwe und hat demnach bessere Anspruchsvoraussetzungen.


«Die AHV behandelt verheiratete Frauen anders als verheiratete Männer.»


Von der 1. zur 2. Säule – wie sieht das im Bereich der beruflichen Vorsorge aus?
Hier empfehle ich, im jeweiligen Pensionskassenreglement individuell zu prüfen, ob ein gegenseitiger Anspruch auf Hinterlassenenleistungen aus der 2. Säule besteht. Jede Pensionskasse handhabt das anders: Einige erfüllen nur die gesetzlichen Mindestvorgaben, andere bieten bessere Leistungen an, so zum Beispiel die GastroSocial Pensionskasse. Diese zahlt eine Partnerrente aus, sofern die Ehe oder Partnerschaft mindestens 5 Jahre gedauert hat oder gemeinsame Kinder vorhanden sind. Im Fall von nicht eingetragenen Partnerschaften muss die versicherte Person zudem die Lebenspartnerin oder den Lebenspartner zu Lebzeiten der GastroSocial Pensionskasse gemeldet haben und es muss ein gemeinsamer amtlicher Wohnsitz bestehen.

Ein Paar sieht den Sinn einer Heirat nicht und führt deshalb die eingetragene Partnerschaft weiter. Wo liegen die wichtigsten Unterschiede?
Natürlich sind immer die individuellen Bedürfnisse und Ziele massgebend. Für eine adäquate Abwägung sind aber sicherlich die Themenbereiche Einbürgerung, Adoption, Fortpflanzungsmedizin und Güterrecht relevant. Zum Beispiel bietet die eingetragene Partnerschaft zwar Vorteile bei einer ordentlichen Einbürgerung, ermöglicht jedoch keine erleichterte Einbürgerung. Entscheidet man sich hingegen zur Umwandlung in eine Ehe, kann sich eine ausländische Ehegattin oder ein ausländischer Ehegatte einer Person mit Schweizer Bürgerrecht erleichtert einbürgern lassen. Auch kann es Sinn machen, die eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umzuwandeln, wenn der Wunsch besteht, ein Kind zu adoptieren oder Zugang zur Fortpflanzungsmedizin zu erhalten. Mit der Gesetzesrevision haben nämlich neu auch verheiratete Frauenpaare Zugang zur Samenspende. Die Thematik «Kind» ist insofern vorsorgerelvant, als dass sie im Todesfall einen Einfluss auf die Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenleistungen hat. Abschliessend können im revidierten Eherecht neu auch gleichgeschlechtliche Paare alle Güterstände frei wählen – als Basis gilt hier die Errungeschaftsbeteiligung, bei der eingetragenen Partnerschaft dagegen die Gütertrennung.


«Die Thematik "Kind" ist insofern vorsorgerelvant, als dass sie im Todesfall einen Einfluss auf die Anspruchsvoraussetzungen für Hinterlassenenleistungen hat.»


Welche Tipps möchten Sie gleichgeschlechtlichen Paaren abschliessend mitgeben?

Grundsätzlich gilt: Ändert der Beziehungsstatus, sollte man seine Vorsorgesituation prüfen – wie ist die Ausgangslage und wo können mögliche Optimierungen getroffen werden? Wie sich bereits herauskritallisiert hat, sollte man vor allem bei den Todesleistungen genauer hinschauen, weil es dort grosse Unterschiede gibt: Wie viel Kapital wird benötigt, um die überlebende Partnerin oder den überlebenden Partner sowie allfällige Kinder finanziell abzusichern? Kann es allenfalls Sinn machen, die eingetragene Partnerschaft in eine Ehe umzuwandeln? Hier lässt man sich am besten eine Übersicht erstellen, die visualisiert, was dieser Schritt für Möglichkeiten und Risiken mit sich bringt und wo allfällige Lücken bestehen, die man im Idealfall mit Mitteln aus der privaten Vorsorge schliessen kann. Die Thematik an sich ist komplex und umfassend, deshalb empfehle ich, sich bei solchen Fragen von qualifizierten Finanzberatern unterstützen zu lassen.

Zur Person:

Pascal Jaeggi

Pascal Jaeggi arbeitet seit 3 Jahren bei GastroSocial und leitet den Aussendienst und somit die Betreuung der Geschäftskunden. Er hat die Ausbildung zum Betriebsökonom und Versicherungsvermittler VBV abgeschlossen. Sein Fachwissen hinsichtlich Versicherungen und Pensionskassen ist umfassend – seit mehr als zehn Jahren arbeitet er in der Assekuranz, zudem hat er im vergangenen Jahr erfolgreich das Diplom zum eidgenössisch diplomierten Pensionskassenleiter erlangt.